24.08.2018

Leben im digitalen Raum: "Die Grenzen verschwimmen immer mehr"

Catarina Katzer gehört zu den führenden ExpertInnen auf dem Gebiet der Cyberpsychologie und Medientechnik und rät zu einer bewussten Distanz zum digitalen Raum. Offline-Zeiten zählen beispielsweise dazu, gerade weil die Grenzen zwischen offline und online für immer mehr Menschen verschwimmen. 

Im Rahmen der Veranstaltungsreihe "Plattform Zukunft" hat Catarina Katzer einige Tipps zur besseren Bewältigung der digitalen Realität gegeben. Lesen Sie hier das Interview mit der Medienexpertin. 

Cyberpsychologie befasst sich mit der Frage wie die Internettechnologie uns als Individuen aber auch die Gesellschaft als Ganzes auf der kognitiven und emotionalen Ebene sowie auf der Handlungsebene verändert. Wir sehen immer stärker, wie der Internet-Rhythmus unseren Alltag, aber auch unser Denken und Verhalten steuert und beeinflusst. Neue Verhaltensphänomene entstehen - Nomophobie, die Angst, "no mobile" zu sein oder das so genannte "Phantomschauen", man blickt auf sein Smartphone, im Glauben man hätte eine Nachricht bekommen, doch eigentlich hat man es sich nur eingebildet. Wir bemerken immer mehr, dass wir geradezu konditioniert werden auf das ständige Unterbrechen, ein Cyberautomatimus entsteht.

Alle 10-15 Minuten schaut der Durchschnittsuser auf sein Smartphone, das macht Minimum 88 mal am Tag. Vieluser liegen bei 135 und mehr. Das hat Einfluss auf unsere Wahrnehmung und Einstellungsbildung - die kognitive Überlastung führt zu neuen Wahrnehmungsstrategien. Mehr als 10 bis 15 Prozent wird online nicht gelesen. Dadurch werden wir anfälliger für fake news und Filterblasen. Dissonanzen, also gegensätzlichen Informationen, setzen wir uns erst gar nicht aus. Weiters entstehen neue emotionale Abhängigkeiten. Nicht nur Persönlichkeitsausprägungen können so gefördert werden, wie "sensation seeking" oder "admiration seeking" 

 

Ich glaube, das hat zum einen mit der sehr leichten Befriedigung unserer ureigenen menschlichen Bedürfnisse zu tun. Kommunikation, sozialer Austausch, Selbstdarstellung, die Suche nach Anerkennung sind ja nicht neu. Nur durch die neuen Internettechnologien haben wir vollkommen andere Möglichkeiten, diese zu befriedigen und auszuleben, und zwar ohne große Mühe. Mit einem Klick haben wir zum Beispiel ein bestimmtes Image von uns kreiert, ohne andere Menschen aufsuchen zu müssen, alles von zu Hause aus, vor einem riesen Publikum. Man geht bei digitaler Kommunikation auch leichter problematischen Situationen aus dem Weg, beispielsweise bei einer Trennung. So werden immer häufiger Liebesbeziehungen per WhatsApp beendet. Ein weiterer Faktor spielt auch die Umsonst-Mentalität: wenn man etwas gebrauchen kann, von dem man sich einen hohen Nutzen verspricht, dafür im ersten Augenblick aber nicht zahlen muss, denkt man nicht über spätere Folgen nach. Nur die "kurzfristige" Belohnung ist entscheidend. 

Die Grenzen verschwimmen immer mehr, je stärker wir zwischen dem physischen Hier und Jetzt und dem Cyberlife über Instagram, WhatsApp, facebook hin und her switchen. Dies geschieht unbewusst. Gerade junge Menschen sind auch im Bett online. Ohne ein neues digitales Bewusstsein wird sich das auch nicht ändern. Vor allem, da die Gesellschaft bzw. die Unternehmen uns ja regelrecht vorschreiben, immer digitaler zu werden. Es ist natürlich auch ein großes Geschäft. Denken wir alleine an Alexa - dass hierbei Kommunikation gespeichert und ausgewertet werden, sozusagen der eigene Spion im Haus lebt, ist uns nicht bewusst. Wir müssen schauen, dass wir nicht auf der Strecke bleiben und uns irgendwann große Konzerne vorschreieben, was wir zu tun haben.

Emotionen entstehen heute auch über digitale Kommunikation, Bindungen entstehen, ja sogar Liebesbeziehungen. Vielfach wird das ganz normale Leben einer Beziehung online ja gar nicht gelebt - Probleme, Konflikte werden ausgespart und kommen nicht zur Sprache. Die sozialen Kompetenzen, wie etwa das Erkennen non-verbaler Kommunikationszeichen, werden teilweise nicht mehr erlernt und infolgedessen nicht mehr erkannt. Flirten in "real life" wird zunehmend schwieriger, sich in die Augen schauen, Kontakt mit anderen auf der Straße aufzunehmen. Viele fühlen sich ja schon gestört, wenn man sie nach dem Weg fragt. 

Ich glaube, dass das bitter nötig ist, für sich selbst, aber auch für die anderen. Nur wenn ich meine online Zeit gut einteile, gerate ich nicht unter Stress, kann meine Tätigkeiten besser, schneller und fehlerfreier erledigen. Dies wirkt sich auch auf unsere Beziehungen aus. Vor allem, wenn man dies gezielt auch so dem Umfeld kommuniziert und gemeinsam Regeln definiert, wir dies leichter akzeptiert. Am besten überzeugt man allerdings die anderen durch expertimentelle Selbsterfahrung in der Schule oder am Arbeitsplatz: wie konzentriere ich mich mit und ohne Smartphone? Ein kleiner Trick, wie etwa der Smartphone Turm, kann hier helfen: Alle Smartphones werden zusammengelegt, wer als erster zugreift macht den Haushalt oder zahlt die Zeche - das wirkt - man redet mehr und aufmerksamer miteinander. 

Ich glaube, wir haben ein digitales Bewusstsein entwickeln. Ein gezieltes Innehalten ist ein wichtiger Schritt. Sich des Handelns wieder bewusst werden ist notwendig. Dazu müssen wir auch wieder kritikfähriger werden, auch wenn dies aufwendiger ist und viel Zeit kostet. Abwägen, nach anderen Informationen suchen, gezielt dissonantes Material lesen und: die Umsonst Mentalität ablegen! Was online nichts kostet ist meist verdächtig.

 

Wir müssen ein digitales Bewusstsein entwickeln, das heißt Erkennen wie unser Denken und unser Entscheidungsverhalten abläuft. Ein gezieltes Innehalten, sozusagen eigene Stoppschilder einführen, ist ein wichtiger Schritt. Abwägen, nach anderen Informationen, Quellen oder Ratgebern suchen, gezielt dissonantes Material lesen wird immer wichtiger.